Während lange Zeit die Antwort auf die Frage „Wie geht es dir?“ ein mehr oder weniger ernst gemeintes „Danke, gut“ war, bekommen wir seit einigen Jahren immer häufiger „Ich bin im Stress“ zu hören. Und wahrscheinlich können wir in vielen Fällen sogar mit einem müde lächelnden „Ich auch“ antworten. Doch woran liegt das eigentlich?
Gehen wir einfach ehrlicher mit der Frage um? Gibt es Gründe dafür, dass wir nie wirklich entspannt sind? Und vor allem - was hilft uns dabei, uns wirklich aus dem Hamsterrad Stress zu befreien?
Gründe für Stress in unserer Gesellschaft
Zu den häufigsten Stressfaktoren der Berufstätigen in Deutschland gehören zu viel Arbeit, Termindruck, Unterbrechungen und Informationsüberflutung [1]. In wissenschaftlichen Diskussionen wird immer wieder die Digitalisierung dafür verantwortlich gemacht, dass wir permanent unter Strom stehen [2]. Wir sind ständig erreichbar, auch im Urlaub und nach Feierabend. Nicht nur auf der Arbeit, sondern auch im Privatleben werden wir ständig mit Informationen zu verschiedensten Themen überhäuft, das Gehirn erlebt jeden Tag eine regelrechte Reizüberflutung. Die Bildschirme haben ebenso wenig Pause wie unsere Augen und unser Gehirn. Abschalten nach der Arbeit ist auch oft eine Herausforderung, weil wir uns gedanklich oft nicht von unerledigten oder bevorstehenden Aufgaben abgrenzen können.
Besonders unsere psychische Gesundheit und unser Wohlbefinden leiden darunter – die Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen steigen seit 15 Jahren immer weiter an [3]. Auch der Schlaf leidet unter der dauernden Belastung. 2017 bekamen mehr als 4,6 Millionen Deutsche die Diagnose einer Schlafstörung – die Dunkelziffer lässt sich nur erahnen [4]. Wenn wir uns aber von kurzzeitigem Stress nicht erholen und uns weiter in den Sorgenstrudel hineinziehen lassen, finden wir uns in einer Abwärtsspirale wieder, die wir dringend durchbrechen sollten. Bei der Lösung dieser Problematik können Entspannungstechniken helfen. Denn die lassen sich unabhängig von noch mehr Terminen und zeitlichen Engpässen einfach und flexibel in jeden Alltag einbauen.
Entspannung will gelernt sein
Vielleicht kennst du es von dir selbst, dass Entspannung gar nicht so einfach ist - selbst dann, wenn du es ernsthaft versuchst. Die Kunst dabei ist, Körper und Geist so zu entlasten, dass wir im Nachhinein wieder leistungsfähiger sind. Wenn wir beides durch zu viel Entspannung so weit hinunterfahren, dass wir träge werden, ist uns auch nicht geholfen. Zu wenig davon führt aber von Konzentrationsschwierigkeiten bis hin zu Auswirkungen auf unsere körperliche und geistige Gesundheit [5]. Wir brauchen also eine gesunde Balance zwischen Aktivität und Entspannung, damit wir Überforderung vermeiden, effektiv arbeiten können und trotzdem gesund bleiben. Aber wie geht das?
Wenn du unter Entspannung nichts tun, geistig wenig anspruchsvolle Film- oder Serieninhalte konsumieren oder anderweitig Zeit verstreichen lassen verstehst, dann wird das nicht die erwünschten Effekte bringen, sondern zählt eher als Verdrängung. Das merkst du daran, dass du dich wahrscheinlich immer noch genauso gestresst fühlst, wenn du dich wieder der Aufgabe widmest, die du vor der Folge deiner Lieblingsserie nicht erledigt hast.
Das soll nicht heißen, dass wir uns nicht erlauben können, Serien zu schauen. Es geht darum, dass wir den Körper und den Geist tatsächlich zur Ruhe kommen lassen müssen – und das funktioniert nicht mit grellen Bildschirmen und weiteren Reizüberflutungen. Für echte Entspannung brauchst du nur dich selbst und sonst nichts. Versuche dich also auf andere Methoden der Entspannung einzulassen.
Entspannungstechniken im Überblick
Autogenes Training (AT)
Diese Übung dauert nicht länger als vier Minuten und kann deshalb auch mehrmals am Tag durchgeführt werden. Besonders empfehlenswert ist sie vor dem Schlafen gehen.
Lege dich in eine bequeme Position und schließe die Augen. Wiederhole zwei bis drei Mal folgenden Satz: „Ich bin vollkommen ruhig und gelassen“. Gehe nun gedanklich zu deinem linken Arm und wiederhole innerlich drei Mal „Mein linker Arm wird ganz schwer“. Das gleiche machst du anschließend bei deinem rechten Arm, linken Bein und rechten Bein. Die Muskeln in deinen Gliedmaßen sollten jetzt ganz schwer sein. Nimm dieses Gefühl bewusst wahr.
Danach erzeugst du auf die gleiche Weise schrittweise ein Gefühl der Wärme in deinem ganzen Körper. Beginne mit: „Mein linker Arm strömt ganz warm“. Reguliere anschließend deinen Herzschlag: „Mein Herz schlägt ruhig“ und deine Atmung: „Jeder Atemzug verleiht mir Ruhe“. Entspanne deine Verdauungsorgane: „Mein Bauch ist ganz weich“. Löse die Anspannung in deinem Kopf: „Mein Kopf ist angenehm kühl“ und auch die Anspannung im Gesicht: „Mein Unterkiefer und meine Zunge sind schwer“ [5].
Das AT löst Stress und lässt dich zur Ruhe kommen. Nach ca. 8 Wochen regelmäßiger Durchführung lässt sich sogar eine positive Wirkung auf den Schlaf beobachten [6].
Progressive Muskelentspannung (PMR)
Auch die Progressive Muskelentspannung ist seit fast 100 Jahren eine effektive Methode im Abbau von Stress, Anspannung und bei der Behandlung von Schlafstörungen [5].
Du kannst sie im Liegen oder im Sitzen mit geschlossenen Augen durchführen. Nacheinander werden alle Muskelgruppen im gesamten Körper für jeweils 5-10 Sekunden angespannt. Dann lässt du sie wieder locker und nimmst für 30 Sekunden bewusst den Unterschied zwischen An- und Entspannung wahr. Du kannst mit den Füßen beginnen und dich langsam nach oben arbeiten. Erst der linke Fuß, dann der rechte. Die linke Wade, dann die rechte und so weiter. Wenn du oben angekommen bist, vergiss nicht deine Nacken- und Gesichtsmuskulatur.
Neben dem erfolgreichen Einsatz bei psychischen Beschwerden verbessert die PMR deine Blutzirkulation, erzeugt ein Gefühl der Wärme und kann kurz- und langfristig Schmerzen lindern [5]. Auch hier darfst du nach einer einzigen Durchführung keine Wunder erwarten, lass dir Zeit und mache die Übung mehrere Male.
Achtsamkeitsübungen und Meditationen
Achtsamkeitsübungen haben zum Ziel, den gegenwärtigen Moment bewusst wahrzunehmen und ohne Bewertung zu akzeptieren, was diesen gegenwärtigen Moment ausmacht. Dadurch soll vermieden werden über Zukünftiges oder Vergangenes nachzudenken. Denn das hindert uns oft daran, mit gegenwärtigen Problemen umzugehen und sie zu lösen [7].
Es geht also darum, im Hier und Jetzt zu leben. Beim Duschen sollten wir also nicht über die Herausforderungen, die über den Tag verteilt auf uns zukommen nachzudenken, sondern das warme Wasser auf der Haut zu genießen und beim Essen die verschiedenen Geschmäcker wahrnehmen, anstatt es mit Blick auf den nächsten Termin hastig in uns hinein schlingen.
Für die Stärkung der Achtsamkeit kannst du auf jeden Fall damit anfangen alles bewusst zu tun und wahrzunehmen. Was du zusätzlich tun kannst, ist, regelmäßig eine Meditation durchzuführen. Da Entspannung gelernt sein will, wird auch das erst mal nicht ganz so einfach sein. Du wirst dich möglicherweise öfter dabei ertappen, wie du mit den Gedanken doch wieder abgeschweift bist. Das ist aber ganz normal. Es braucht eben ein bisschen Übung. Fange deshalb am besten mit geführten Meditationen an. Inspiration dazu findest du auf verschiedenen Internetplattformen zuhauf. Wenn du dich während einer Meditation dabei ertappst, wieder über die Arbeit oder ein belastendes Thema nachzudenken, dann bewerte das nicht negativ. Wenn du es feststellst, dann nimm es dir nicht übel und lenke deine Aufmerksamkeit einfach wieder auf das Hier und Jetzt.
Alltägliche Verhaltensweisen anpassen
Um für etwas zusätzliche Entspannung zwischendurch zu sorgen, musst du dich nicht zwangsläufig hinlegen und eine Übung machen. Du kannst auch ganz einfach ein paar Verhaltensweisen in deinen Alltag einbauen, um Körper und Geist zu entlasten. Wenn du viel am Schreibtisch arbeitest, achte darauf, dass du dich immer wieder aufrecht hinsetzt und die Schultern zurückziehst. Stehe ab und zu auf, strecke und dehne deinen gesamten Körper und schüttle deine Gliedmaßen aus. Das bringt sofortige Entspannung und tut gut. Lüfte dabei kurz durch, damit dein Gehirn wieder ausreichend Sauerstoff bekommen kann [5].
Mache anstatt längerer Pausen mehrere kurze, in denen du dich räumlich und gedanklich von der Arbeit entfernst. Gönne vor allem deinen Augen regelmäßig eine kurze Pause von den Bildschirmen. Atme regelmäßig mehrmals tief durch. Versuche dabei dein gesamtes Lungenvolumen auszuschöpfen. Der viele Stress spiegelt sich auch in einer zu flachen Atmung wider. Tiefes und langes Atmen sorgt aber dafür, dass sich der Blutdruck senkt, der Herzschlag verlangsamt und sich Körper und Geist entspannen [5].
Fazit
Wir sollten definitiv anfangen, Stress abzubauen und uns öfter mal zur Ruhe kommen lassen. Was dabei aber besonders wichtig ist, ist, dass wir am Ball bleiben und nicht (schon wieder) zu viel von uns abverlangen. Echte Tiefenentspannung passiert nicht einfach so, wir müssen geduldig daran arbeiten. Auch wenn es schwer fällt in der Pause das Handy wegzulassen, werden sich besonders diese kleinen Änderungen lohnen. Du wirst durch die Übungen auch kurzzeitig für Entspannung sorgen können. Je öfter und regelmäßiger du die Übungen aber machst, desto gelassener wirst du grundsätzlich im Alltag werden. Du wirst dich also generell weniger und weniger schnell gestresst fühlen, weil du ideale Bewältigungsstrategien zur Hand hast. Suche die für dich passende Methode und starte - dein Körper und Geist werden es dir danken!
Quellen:
[1] TK (2016). Verteilung von Stressfaktoren von Berufstätigen in Deutschland im Jahr 2016. Abgerufen von: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/648698/umfrage/verteilung-von-stressfaktoren-von-berufstaetigen-in-deutschland/. Abgerufen am 26.10.2022.
[2] Ducki, A. (2019). Digitale Transformation – von gesundheitsschädigenden Effekten zur gesundheitsförderlichen Gestaltung. In B. Badura & A. Ducki & H. Schröder & J. Klose & M. Meyer (Hrsg.), Fehlzeiten-Report 2019. Digitalisierung – gesundes Arbeiten ermöglichen (S.2-12). Berlin: Springer.
[3] Statista (2019). Entwicklung von Arbeitsunfähigkeitsfällen und -tagen aufgrund psychischer Erkrankungen in Deutschland in den Jahren 2009 bis 2018. Abgerufen von: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/246810/umfrage/arbeitsunfaehigkeit-aufgrund-psychischer-erkrankungen/#professional. Abgerufen am: 07.01.2021.
[4] BARMER (2019). Häufigkeit von Schlafstörungen in Deutschland nach Diagnose im Jahr 2017. Abgerufen von: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1060803/umfrage/haeufigkeit-von-schlafstoerungen-in-deutschland-nach-diagnose/. Abgerufen am: 26.10.2022.
[5] Holzinger, B., & Klösch, G. (2018). Schlafstörungen. Psychologische Beratung und Schlafcoaching. Berlin: Springer-Verlag GmbH.
[6] Bowden, A., & Lorenc, A., & Robinson, N. (2012). Autogenic Training as a behavioural approach to insomnia: a prospective cohort study. Primary Health Care Research & Development, 13(2), 175-185. Abgerufen von: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/21787446/.
[7] Küch, D., & van Dixhoorn, J. (2020). Entspannungsverfahren. In J. Bengel & O. Mittag (Hrsg.), Psychologie in der medizinischen Rehabilitation. Somatopsychologie und Verhaltensmedizin (S. 197-208). Berlin: Springer-Verlag GmbH.